Dienstag, Oktober 25, 2005

"Unsicherheit" in Arbeitsverhältnissen: Handhabung als Qualifikationserfordernis

Für sich abzeichnende Lebens- und Arbeitsverhältnisse wird vermehrte Unsicherheit als Element, der Umgang damit einerseits als Notwendigkeit, andererseits als Ermöglichung größerer Freiheit deklariert. "Sicherheit" wird als Relikt einer vergangenen Epoche dargestellt. Die Verwendung eines "Unsicherheits"-Konzepts ist in bestimmtem Umfang nötig wegen Unwägbarkeiten und Variabilitäten der Zukunft. Hintergrund der Diskussion sind aber Vorgänge wie Abbau sozialer Sicherung, Liberalisierung des Arbeitsmarkts, Deregulierung. "Umgang mit Unsicherheit" kann die Akzeptanz unsicherer Arbeitsbedingungen implizieren: Zurechtkommen statt Schaffung von Sicherheit(en). Unsicherheit wird zu einer quasinatürlichen und zwangsläufigen Konstituente erhoben ohne Differenzierung zwischen vermeidbaren - weil auf ökonomischen Entscheidungen beruhenden und bewußt geschaffenen - und unvermeidbaren - u.a. wegen der Unvorhersagbarkeit der Zukunft - Unsicherheiten. Diese Nicht-Differenzierung wird benutzt zur Legitimation für die Schaffung bzw. Nicht-Abschaffung vermeidbarer Unsicherheiten. Unsicherheiten werden bewußt und zielgerichtet zum Vorteil der einen, zum Nachteil der anderen vergrößert.
In den Vordergrund gerückt werden die "Chancen" von Unsicherheit für die, die ihr ausgesetzt sind - nicht für die, die sie herbeiführen und in erster Linie Vorteile von einer umfassenderen und verpflichtungsfreieren Anwendung der Arbeitskraft haben. Es soll nicht bestritten werden, dass die Sicherheitsorientierung auch mit Einengungen verbunden ist. Restriktionen und Risiken durch "Unsicherheit" treten aber stark in den Hintergrund. "Unsicherheit" bedeutet "Verflüssigung" der Arbeitskraft und Ausweitung der Verwendbarkeit; Anwendung, wenn man sie brauchen kann, Verpflichtungslosigkeit, wenn sie nicht gebraucht wird. Das Modell des die Unsicherheit handhabenden, selbständigen und "freien" Verkäufers seiner Arbeitskraft beinhaltet auch das Wegfallen von Sicherungen, deren Durchsetzung erst nach langer Zeit und beträchtlichem Aufwand erreicht wurde und einen Fortschritt darstellte - ob er das nicht mehr ist, ist sehr die Frage.

Freitag, Oktober 14, 2005

"Freiheit statt Macht" - situationsakkomodativer Konzeptwechsel bei Politikern

Politiker, die in ihren Positionen akkomodativ perfekt funktionert haben, entdecken in veränderter Situation den Wert der Freiheit - das Konzept wird funktional gewechselt. Dieser der neuen Situation angepasste Konzeptwechsel kann verschiedene Funktionen haben:
Verbrämung des (durch andere herbeigeführten) Machtverlusts;
Darstellung des Machtverlusts als Machtverzicht (aufgrund besserer Einsicht);
Aufrechterhaltung des Selbstkonzepts als autonom entscheidendes Subjekt.
Das Konzept, das eine der Grundlagen für das Handeln in einer bestimmten Phase war, wird (tatsächlich oder vorgeblich) ersetzt durch eines, das zu der neuen Situation passt. Es wird ein Konzept auf die neue Situation gesetzt, das das Weitermachen ermöglicht. Probleme werden (scheinbar) wegdefiniert; die alte Situation bleibt ebenso wie die neue legitimiert.
Bemerkenswert ist der Zeitpunkt des Konzeptwechsels; er findet nicht während der Ausübung des politischen Amtes als freie Entscheidung statt, sondern in einer ungünstigen politischen Situation mit verschlechterten Aussichten.
Keine grundlegenden Probleme scheint es damit zu geben, dass innerhalb der politischen Karriere auch einmal der gegenläufige Konzeptwechsel - Macht statt Freiheit - erfogt sein muss. Das waren andere Zeiten und andere Verhältnisse.
Es kann eingewandt werden, dass veränderte Situationen veränderte Konzepte erfordern. Nur ist die Frage, ob das immer so ist und um welchen Umfang der Veränderung von Konzepten es geht. Ist damit Konzeptflux generell legitimiert? Wie ist es mit grundlegenden Orientierungen ("Freiheit")? Auch wenn man Konzepte nur als Instrumente zur Realitätsbewältigung definiert - sind sie nur situationsabhängig?