Samstag, April 15, 2006

Patchwork als Chance

"Alle klagen darüber, dass die gewohnten Normalarbeitsverhältnisse zusammenbrechen. Mir ist diese ganze Diskussion aber zu negativ. Wir müssen die so genannten Patchwork-Biografien als neue Normalität sehen, und wir müssen uns darauf positiv einstellen. In diesen Lebensläufen steckt doch auch eine Chance. (...) Wir müssen dafür sorgen, dass wir es Menschen finanziell ermöglichen, auch mal zwei Jahre aus dem Beruf auszusteigen und etwas ganz anderes zu machen." (J. Allmendinger in "Zeit" Nr. 16, 12.4.2006, S.81).
Dass lebenslange Erwerbsbiographien, die möglichst lückenlos sein sollen, nicht der Gipfel an Freiheit waren /sind, bezweifelt niemand, dass man sich ergebende Freiheitsgrade nutzen soll, ebensowenig - wohl aber, dass bei den jetzt eingeführten Unsicherheiten, Diskontinuitäten, Prekarisierungen eine positive Sichtweise anzulegen sei. Jetzt wird mit dem Abbau von Sicherheit Freiheit idealisiert.
Unterscheiden müsste man zwischen freiwilligem und selbstbestimmtem und unfreiwilligem Patchwork; Patchwork ist gegenwärtig zu größeren Teilen nicht Produkt von Selbst-, sondern von Fremdbestimmung.
Die verbreitete Figur, jede Verschlechterung auch als "Chance" umzuinterpretieren, führt dazu, dass kritikable Verhältnisse nicht kritisiert, sondern anerkannt werden.

Freitag, April 14, 2006

Sozialstaat als Hilfsinstrument des Marktes

"Der Sozialstaat ist zur Sicherung der Marktmöglichkeiten der Bürger da. Er hat die Bürger zum Markt zurückzuführen, sie marktfähig zu halten. (...) Er bindet seine subsidiären Transferzahlungen an die überprüfbare Bereitschaft zur Beschäftigungsaufnahme und zur Selbstverantwortlichkeit." (Kersting, Wolfgang: Gerechtigkeit: Die Selbstverewigung des egalitaristischen Sozialstaats. In: Lessenich, Stephan (Hg.): Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe. Frankfurt/M./New York 2003; zit. n. Opielka, Michael: Gerechtigkeit durch Sozialpolitik? In: Aus Politik und Zeitgeschichte 8-9/2006, S. 33).
"Sicherung der Marktmöglichkeiten der Bürger" heißt zugleich und vordringlich Sicherung der Möglichkeiten des Marktes. Der Sozialstaat bezieht in dieser Auffasung seine Berechtigung und Begründung vom Markt. Der Markt ist vorgeordnet, andere Bereiche sind ihm funktional zugeordnet. Sie dienen der Effizienzerhöhung des Marktes. Der Sozialstaat leistet einen Beitrag zur Bereitstellung des Potentials für den Markt.
Nicht-marktkonformes Verhalten der Bürger wird sanktioniert; es gibt Auswirkungen auf die "subsidiären Transferzahlungen".
Der Primat des Marktes ist festgeschrieben und wird exekutiert.

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Freitag, April 07, 2006

Längere Lebensarbeitszeit als Lernproblem

"Die demografische Entwicklung stellt die Weichen neu: für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Arbeit und Lernen muss in diesem Zusammenhang in den Betrieben aneinander gekoppelt werden. Die Herausbildung lernförderlicher Arbeitsbedingungen ist unabwendbar." (DGB Bildungswerk u.a.: Lernendes Forum: Arbeitsfähigkeit bis 67? Innovationen für die Betriebe).
Die älteren Arbeitenden müssen lernen, ihre "Beschäftigungsfähigkeit" zu erhalten, also doch noch verwertbar zu sein. Die Betriebe müssen lernen, auch aus denen doch noch etwas herauszuholen.
Begründung für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der damit verbundenen "Lernerfordernisse" ist die demographische Entwicklung; die gestiegene Produktivität stellt keine Begründung für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit dar, da es um Geld geht.
Die älteren Arbeitnehmer werden dem Zwang unterworfen, länger arbeiten zu müssen. Um dem Genüge tun zu können, sollen sie lernen. Dabei kann man sich auf positive Konnotationen des "Lern"-Begriffs beziehen: Lernen hat ja schließlich auch etwas Gutes an sich: Erweiterung der Fähigkeiten, Entwicklung der Persönlichkeit, Fit-Bleiben im Alter - es stellt also eine menschenfreundliche Förderung älterer Mitarbeiter dar.
Nicht schlecht wäre es zu lernen, wie eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit verhindert, eine Verkürzung erreicht werden kann: Das muss ja wohl das Ziel einer sinnvollen Entwicklung in einer Gesellschaft mit hohem technischem Niveau sein.