Freitag, November 20, 2009

Selbstachtung: Steuerzahler und Begünstigter (Ulrich Greiner)

Warum die Selbstachtung des Steuerzahlers darunter leidet, dass er zu den Empfängern in kein "näheres Verhältnis" tritt (Ulrich Greiner), ist nicht recht erfindlich; unbegreiflich ist der "Apparat" des Steuersystems nicht. Fühlt sich der Steuern Entrichtende in seiner Selbstachtung beeinträchtigt, weil ihm zugemutet wird, einen angemessenen finanziellen Beitrag zu den öffentlichen Angelegenheiten zu leisten? Oder erwartet er sich eine positive persönliche Rückmeldung, die ihn erhöhen soll? Zuweisung einer Gruppe von Steuerempfängern zu einem Steuerzahler, die eine Plakette zu tragen hätten:"Für mich zahlt Herr N.N. Steuern"? Den Thymos des Zahlers fördernde Einführung der Proskynese in das Steuerrecht?
Die Selbstachtung des Leistungsempfängers würde nicht erhöht, wäre er statt auf staatliche soziale Hilfe auf Wohltätigkeit angewiesen. Arbeitslosigkeit hat bekanntlich nicht nur individuelle Ursachen. Hat Bismarck Hegel nicht verstanden?
Die Ablösung eines persönlichen Verhältnisses zwischen Geber und Nehmer durch sozialstaatliche Formalisierung stellt eine Verbesserung dar.

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Montag, November 16, 2009

Gleichheit und Akzeptierung von Ungleichheit (Ulrich Greiner)

Gleichheit hält an dem Gedanken fest, dass gegen grundlegende und weitreichende soziale Ungleichheiten vorgegangen werden soll.
Gleichheit appelliert an Solidarität.
Gleichheit bedeutet Kritik an Hierarchie und Instrumentalisierung.
Gleichheit führt zu einem Recht auf soziale Sicherung und befreit vom Angewiesensein auf Almosen und Barmherzigkeit. Sie will nicht die Barmherzigkeit beseitigen, sondern die Abhängigkeit von ihr. Dass der Sozialstaat durch zusätzliche freiwillige Leitungen "ergänzt" wird, wird wahrscheinlich keine Einwände hervorrufen; dass das gegenwärtig als Argument zum Abbau des Sozialstaates benutzt wird, schon.
Gleichheit heißt nicht, dass alle Menschen in all ihren Eigenschaften gleich sind, sondern dass sie in ihrer Eigenschaft als Menschen gleich sind. Gleichheit beinhaltet, dass es neben den - teils zufälligen, teils durch Leistung erworbenen - Ergebnissen sozialer Differenzierung auch andere, trotz allem gemeinsame Qualitäten gibt.
Statt Ungleichheit als eine der "menschlichen Grundbedingungen" (Ulrich Greiner) hinzunehmen, müsste zwischen verschiedenen Arten, Ursachen, Möglichkeiten und Berechtigungen von Ungleichheit differenziert werden.
(Zu: Ulrich Greiner: Die Würde der Armut. In: "Die Zeit", 12.11.2009, S. 47).

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Mittwoch, November 11, 2009

Trauma-Journalismus: "Den Opfern ein Gesicht geben"

Unbefragt zu akzeptieren, als hätte sie nur eine Intentionsrichtung, ist diese Formulierung nicht; sie kann Ausdruck von Empathie oder von professionellem Geschick oder einer Vermischung von beidem sein. Ohne dass etwas unterstellt werden soll, wäre zu reflektieren:
1. Im Vordergrund steht für die Journalistin qua ihrer Funktion, dass sie einen guten Artikel (oder ein Interview) bekommt, nicht der humanitäre Aspekt, die Opfer aus der Anonymität zu bringen (sogar dann, wenn ihr das subjektiv anders erschiene).
2. "Ein Gesicht geben" bedeutet Sichtbarmachung, Heraushebung, Individualisierung, Erinnerbarkeit auch für Außenstehende und ist gegen das namenlose und unbeachtete Verschwinden im Tod und in der Unerinnertheit gerichtet. Die traumatisierten Eltern können das Sich-Erinnern anderer als unterstützend empfinden. Sie sind eventuell auf dieser Ebene ansprechbar und einer Maßnahme, die sich den Auswirkungen des Verlustes entgegen zu stellen scheint, zugänglich.
3. Das Trauma-Training der Journalisten könnte auch - und sollte nicht - dazu führen, dass sie ihre Ziele auf geschicktere - weil empathische, behutsamere, zurückhaltendere - Weise zu erreichen suchen: Indem man sich auf die emotionale Ebene der Betroffenen einlässt, kann man mehr herausholen. Die Autorin spricht von einer Türöffnungsmöglichkeit durch Behutsamkeit, Rojas von "gutem Trauma-Journalismus". Dass mit dieser Vorgehensweise "das erste große Opferporträt, das nach dem Amoklauf erscheint" zustande kommt, ist eine journalistische Kategorie, keine humanitäre. Auch ein besseres Verständnis für Traumatisierung kann unterschiedlich benutzt werden - zur Optimierung von "Trauma-Journalismus" sollte das Bedürfnis der Hinterbliebenen nach Erinnerung an den Toten nicht ausgenützt werden.
(Zu: Kristina Maroldt: Konfrontation mit dem Grauen. In. "Die Zeit", 5.11.2009, S. 78).

Montag, November 02, 2009

FDP: Freiheit und eigener Weg der Schüler (Sylvia Canel)

Frau Canel nennt es Freiheit, wenn - solange nicht "finnische" Verhältnisse institutionalisiert sind - Schüler entsprechend ihrer Kraft ihren "eigenen Weg gehen dürfen" (Sylvia Canel in: "Die Zeit", 29.9.2009, S. 17). Worin besteht die Freiheit des eigenen Wegs? Darin, nicht sechs Jahre gemeinsam lernen zu müssen - als Ergebnis von "Zwangspolitik"? In der Orientierung an der unterschiedlichen "Kraft"?
Der "eigene Weg" ist in beiden Fällen kein eigener, sondern vorgegeben. Das "Freiheits"-Argument wird hier affirmativ zurechtgestutzt verwendet.
Der verharmlosende, undifferenzierte, zur Erfassung des Sachverhalts theoretisch unbrauchbare Begriff "Kraft" wirkt verdeckend.
Die Verlängerungsregelung ist ideologisch, der für die Wahrnehmung von Partikularinteressen stehende Bezug auf "Freiheit", "Nachfrageorientierung", "Kraft" und "eigenen Weg" nicht?

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